In der vergangenen Woche haben Lennart, Robert und ich an der Vätternrundan teilgenommen, einer 315 km langen Radrundfahrt um den zweitgrößten See in Schweden. Bei fast idealen Bedingungen – es hätte lediglich ein bisschen wärmer sein können – erreichten wir nach 16 Stunden und 20 Minuten das Ziel in Motala. Was für ein Erlebnis!
Warum tut man(n)/frau sich das an?
Ich weiß gar nicht mehr so recht, wie die fixe Idee entstanden ist, uns bei der Vätternrundan anzumelden. Nach dem Marathon 2023 stand natürlich schon die Frage im Raum, welche die nächste sportliche Herausforderung sein sollte. Dabei war mir auch mal ein Radmarathon in Finnland über den Weg gelaufen.
Mit unserem Freund Robert unternehmen wir regelmäßig Radausfahrten und irgendwann kam das Gespräch auf ebensolche Events. Da Finnland ein bisschen schwieriger von der Anreise her ist, war die Vätternrundan eine naheliegende Option und im vergangenen Herbst meldeten wir uns an und machten auch gleich die Unterkunft (dazu in einem anderen Beitrag mehr) für Robert, seine Familie und uns klar.
Und warum? Weil es Spaß macht, mit Gleichgesinnten die eigenen mentalen und körperlichen Grenzen auszuloten. Weil es ein Privileg ist, gesund genug zu sein, um genau das zu tun, wofür der menschliche Körper gemacht ist: lange, ausdauernde Bewegung. Weil man sich gegenzeitig pusht und zieht. Und weil Schnapsideen manchmal die besten Ideen sind (auch wenn in unserem Fall der Schnaps eher Iso oder Kaffee war).
Vorbereitung und Training
Und wie bereitet man sich auf ein solches Event vor? Aus dem Stand 315 km am Stück sind zwar wahrscheinlich möglich, aber gesünder ist es, den Körper gut vorzubereiten.
In unserem Fall hieß das, im Herbst von der Straße auf die Rolle zu wechseln und dort vor allem Intervalle und Grundlagenausdauer zu trainieren. Mittlerweile kann man z.B. virtuell in Schottland, Amerika, Japan oder auf Kreta Radtrainings absolvieren (wir haben uns nach einigem Ausprobieren für Rouvy entschieden). So konnte ich auch mal in der Mittagspause trainieren. Parallel dazu gingen wir weiter regelmäßig Laufen und ab Mai Schwimmen. Unser Crossfit-Training im Verein hat sicher auch dabei geholfen, die nötige Rumpfstabilität aufzubauen.
Anfang November erklommen Lennart und ich gemeinsam mit meinem Bruder unseren “Trainingsberg”, den Brocken, mit dem Gravelbike. Nach dem Winter ging es zurück auf die Straße. An Ostern sind Lennart und ich mit dem Rad nach Delmenhorst zu meinen Schwiegereltern gefahren und Ende Mai haben wir ein Bikepacking-Wochenende rund um die Holsteinische Schweiz unternommen. Auch ein Run and Bike stand auf dem Menü. Insgesamt habe ich zwischen Oktober und Juni 2.311 km auf dem Rennrad, der Rolle und dem Gravelbike zurückgelegt – Alltagskilometer nicht einberechnet.

15. Juni 2024
Da war er nun – der Tag der Tage! Am Donnerstag, den 13. Juni waren wir in unserer Unterkunft nahe Motala angekommen, sodass wir gut Zeit hatten, unsere Startunterlagen abzuholen und uns mental und organisatorisch auf die bevorstehende Rundfahrt vorzubereiten.
Pünktlich um Mitternacht klingelte der Wecker. An Schlaf war davor in meinem Fall nicht zu denken, aber zumindest konnte ich mich ein wenig ausruhen und dösen. Nadine, unsere liebe Freundin und Support-Crew-CEO, hatte noch ein stärkendes Frühstücksbuffet für uns gezaubert und kurz nach halb eins traten wir die Reise mit den drei Rädern an (dank VW-Bus sehr entspannt). Bis nach Motala war es eine gute halbe Stunde zu fahren.




In Motala, dem Start- und Zielort der Vätternrundan, konnten wir den Wagen auf einem Veranstaltungsparkplatz rund zwei Kilometer vom Start entfernt abstellen. Der Parkplatz war schon gerammelt voll mit anderen RadfahrerInnen und nach einigem Hin und Her, welche Oberbekleidung nun die beste sei, entschied ich mich für die dünnere Variante – leider war der Temperaturtiefpunkt in dieser Nacht noch nicht erreicht und diese Wahl sollte ich später bereuen (für alle, die dieser Bericht nicht abschreckt und die Bock auf diese Rundfahrt haben: auf ca. der halben Strecke kann man auch warme Kleidung abgeben und später im Ziel wieder abholen. Das war leider ein bisschen an uns vorbeigegangen).
Noch ein letzter Gang für große Jungs und Mädchen, und dann standen wir schon vor der Startlinie. Unser Start war für 02:30 Uhr angesetzt und als wir losfuhren, euphorisch und gespannt, war es noch einmal ein gutes Stück dunkler als um Mitternacht.
Auf den ersten Kilometern waren wir völlig geflasht von dem geilen Asphalt, auf dem wir unterwegs waren, und es rollte sich entspannt. Wir fanden unser Tempo und richteten uns auf dem Fahrrad ein.




Langsam kroch die Kälte in unsere Glieder. Immer, wenn wir dem See näher kamen, wurde es gefühlt zwei Grad kühler. Und trotzdem war es ein ganz besonderes Gefühl, durch die Stille der Nacht zu gleiten, während sich der Horizont hinter uns langsam rötete. Den Fahrtwind im Gesicht zu spüren, vorbei an Höfen und kleinen Städtchen. Am Straßenrand standen noch einige verwaiste Stühle und Tische. Die ersten TeilnehmerInnen waren schon am Freitagabend gestartet und wurden kräftig angefeuert. Zwei Schnapsleichen rochen wir 20 Meter gegen den Wind und waren etwas verwundert, dass sie noch keinen Reißaus vor der Kälte genommen hatten.
Nach etwas weniger als zwei Stunden und 47 km erreichten wir den erstem Versorgungsstopp in Ödesjög, wo ein Kaffee, Kardamom-Brötchen und warme Blaubeersuppe auf uns warteten. Auch Wasser und Iso konnten wir hier auffüllen.
Zwischen den Versorgungspunkten achteten wir übrigens darauf, kleine Riegel und Gels zu uns zu nehmen und ausreichend zu trinken. Beim Radfahren gilt: Futtern, Futtern, Futtern, um bloß nicht hungrig zu werden. Und trinken, damit alles verdaut und aufgenommen werden kann ;).


Auf den nächsten Kilometern zog die Kälte an, aber der Grund dafür war magisch und wunderschön. Da es keine Fotos gibt, müssen an dieser Stelle meine Worte herhalten: Es ging an dieser Stelle gemächlich hoch und runter. Links der Straße stieg Nebel von den Feldern auf und hüllte die Tannengruppen und falunroten Häuschen ein wie Zuckerwatte. Ich spürte die ersten warmen Strahlen der Sonne im Rücken und wusste: diese Nacht ist vorbei, der Tag beginnt.
Weiter ging es Richtung Jönköping und die ersten richtigen Höhenmeter des Tages warteten auf uns. Die Abfahrten waren umso rasanter und etwas verfroren erreichten wir unseren zweiten Boxenstopp Ölmstad nach 83 km. Wir verpflegten uns und stiegen schnell wieder auf‘s Rad, um die letzten knapp 20 km bis zum großen Verpflegungspunkt Jönköping zurückzulegen. Um 06:50 Uhr war es so weit und wir kamen am südlichsten Punkt der Strecke an.





In Jönköping brauchten wir eine gute Dreiviertelstunde, was auch an der geringen Anzahl an Toiletten lag. Auch die Köttbullar wollten zumindest ein bisschen verdaut werden, schließlich warteten bis Kilometer 133 einige knackige Anstiege auf uns. Hier war Robert, der im Winter nicht so intensiv trainieren konnte wie wir, etwas im Nachteil, konnte das aber auf den Abfahrten wieder wettmachen. Kinetische Energie und so ;).
Als wir nach 133 gefahrenen Kilometern in Fagerhult ankamen, stellte ich fest, dass das tatsächlich ein echter Ort ist (kleiner Lichtindustrie Insider ;)). Robert erfreute sich an der aufbauenden Wirkung des Kaffees und ich hielt mich weiter an die Blaubeersuppe.

Wie hätte es auch anders sein können – für mich waren die Kilometer 133 bis 171 der härteste Teil der Runde. Gefühlt war mir immer noch ein bisschen kalt, obwohl ich die ganze Zeit Energie nachschob. Mein Nacken fing an, weh zu tun – die Kälte am frühen Morgen war hier sicher nicht zuträglich. Auf der Abfahrt zum zweiten großen Versorgungspunkt Hjo lief mir Sonnencreme in die Augen und ich konnte nichts mehr sehen.


Ein beherzter Griff in den Nacken – danke, Robert! – und die Lasagne bauten mich wieder auf und ich konnte die Weiterfahrt Richtung Karlsborg genießen. Die Kilometer schmolzen nur so dahin und ehe wir uns versahen, waren wir schon in Karlsborg. Der Ort mit seinem Fort kam mir irgendwie bekannt vor, und tatsächlich – ich kannte ihn von einer Schweden Rundreise mit meiner Familie (das muss der Sommer gewesen sein, als der letzte Harry Potter Teil veröffentlicht wurde – das ist lange her. Sehr guter Ort zum Baden).

Nur noch 111 km lagen vor uns – ein Klacks im Vergleich zu den 204 km, die wir schon geschafft hatten. Wir erklommen wieder ein paar Höhenmeter auf unserem Weg durch die Wälder des Nationalparks Tiveden – auch landschaftlich gesehen hat die Vätternrundan einiges zu bieten! Wir nahmen auf dem Weg nach Askersund (256 km) noch einen Boxenstopp am Wegesrand mit.


In Askersund sahen wir auch den dienstältesten Vätternrundan-Veteran Stig, der auf einem völlig runtergerockten, antik aussehenden Fahrrad schon zum 59. Mal teilgenommen hat (Spoiler Alert: auch der hat‘s geschafft).
Langsam näherten wir uns der 50 km-Marke. Es wurde nochmal hügelig, aber wir wurden kräftig vom Straßenrand aus angefeuert. Als wir in Godegård 31km vor dem Ziel auf unsere Support Crew bestehend aus Nadine, Felix und Hannah trafen, galt es noch einmal, alle Kräfte zu mobilisieren.

Da für den frühen Abend Regen vorausgesagt war, gab es einen zweiten Grund, in die Puschen zu kommen. Auf den letzten Metern hängten wir uns an eine Gruppe und fuhren entspannt im Windschatten. Natürlich fing es auch schon ein bisschen an, zu tröpfeln, aber dem ganz schlimmen Regen entgingen wir. Als wir um 18:48 Uhr das Ziel nach 16 Stunden und 18 Minuten erreichten, waren wir überglücklich und ich hatte zugegebenermaßen ein bisschen Pipi in den Augen. Es war zwar nicht ganz so anstrengend wie der Marathon (zumal mir dieses Mal an keinem Punkt während der Aktivität schlecht geworden ist), aber ich war nicht minder überrascht darüber, es tatsächlich geschafft zu haben – 315 km ohne größere Probleme oder Blessuren.

Danke insbesondere an Nadine für die Unterstützung am Straßenrand und bei der Rückfahrt (sonst hätten wir nämlich sechs Stunden warten müssen, um unsere Fahrtüchtigkeit wiederherzustellen).
Warum? Zum zweiten
Bei der Vätternrundan wird traditonell Geld für die schwedische Kinderkrebsstiftung gesammelt. Ich würde mich freuen, wenn du mit einer Spende den Elternverein Leukämie- und Tumorkranker Kinder Bremen e.V. unterstützt – z.B. mit 10 Cent pro gefahrenen Kilometer = 31,50 €.
Spenden geht ganz einfach per Überweisung und Paypal:
IBAN: DE62 2905 0101 0011 1887 45
BIC: SBREDE22XXX (Sparkasse Bremen)
https://www.paypal.com/donate/?hosted_button_id=LHAYFZZWRZ6GL
Hier erfährst du mehr über den Verein:
https://kinderkrebs-bremen.de/elternverein-2/
Danke dir ❤️.
Statistiken
Gefahrene Kilometer: 315
Zeit insgesamt: 16h 18min
Zeit in Bewegung: 12h 23min
Durchschnittsgeschwindigkeit: 25,5 km/h
Max Geschwindigkeit: 53,6 km/h
Anstieg: 1.926m
Verbrauchte Kalorien: ca. 10 Franzbrötchen
Spaß: Drölf Spaß
#franzbroetchenforever