Street Art from Kaunas #5

Von September 2021 bis März 2022 habe ich in Kaunas, der zweitgrößten Stadt Litauens, gelebt. An vielen Fassaden finden sich kunstvolle, lustige, komische und auch inspirierende Graffitis. In den folgenden Beiträgen möchte ich meine Eindrücke davon mit Dir teilen.

#5: Die Prinzessin

„Kindermund tut Wahrheit kund“, so lautet ein bekanntes deutsches Sprichwort. Ich finde, das trifft nicht nur auf Kinder, sondern vor allem auch auf Kinderbücher zu. Deshalb habe ich mich heute von dem Graffiti an der Ecke Nemuno gatvė / Druskininkų gatvė und der auch für Erwachsene sehr lustigen Kinderbuchreihe „Das NEINhorn“ von Marc-Uwe Kling zu folgender Geschichte inspirieren lassen.

Die KönigsDOCHter und das PoNIE

„DOCH!“ Die KönigsDOCHter war mal wieder wütend auf ihre Eltern. Bei Königs flogen häufig die Fetzen, so auch an diesem Sonntag.

„Schätzchen, du kannst nicht länger wachbleiben, sonst bist du morgen früh unausstehlich, wenn du Etikette von Meister Knigge lernst“, versuchte ihr Vater, der König, sie zu überreden.

„DOCH, ich kann, und wie ich kann! Ihr werdet es ja sehen, ich werde nie ins Bett gehen!“ Die KönigsDOCHter tobte und rannte wie eine wildgewordene Wespe durch ihre Kammer.

„NIEHIEHIEHIE!“, wieherte im Hintergrund ihr bester Freund, das PoNIE. Das PoNIE kannte die kapriziösen Launen seiner Gefährtin schon gut und hatte Spaß daran, sie weiter aufzuwiegeln.

Der König blickte verzweifelt zur Königin und setzte an: „Nein, das kann doch gar nicht sein!“

„DOCH“, rief die KönigsDOCHter dazwischen. „Ich bleibe so lange wach, wie ich will, und tue nur das, was mir beliebt. Und überhaupt, Etikettieren werde ich schon gar nicht lernen, der Knigge kann meinetwegen dahingehen, wo der Pfeffer wächst!“

„Madagaskar“, kam der Zwischenruf vom BesserwissBÄR, der vor der Kammer der KönigsDOCHter eine ruhige Kugel schob.

Die KönigsDOCHter setzte nach. „Niemals werde ich Etikettieren lernen!“

„NIEHIEHIEHIE!“, wieherte das PoNIE und machte vor Freude einen Purzelbaum.

Nun fing auch der König an, in der Kammer auf- und abzugehen, als ob er Hummeln im Hintern hätte. „Was habe ich nur falsch gemacht?“, jammerte er. „War ich zu nachlässig? Zu wenig präsent?“

Als die KönigsDOCHTer noch ein DÖCHterchen war, war der König im Auftrag der Krone als Draußendienstler tätig gewesen und hatte bei Königs in den Nachbarländern die Klinken putzen müssen. So hatte er es seinem DÖCHterchen erklärt. Doch so richtig Spaß hatte ihm das nie bereitet, und als die Königin wieder das Zepter übernehmen wollte, war er bereitwillig in den Drinnendienst gegangen und hatte sich fortan um das Palastmanagement und die Erziehung der KönigsDOCHter gekümmert. Da die KönigsDOCHter manchmal traurig gewesen war, wenn die Königin im Draußendienst unterwegs war, hatte der König weniger Durchsetzungsvermögen gezeigt, als gegenüber der KönigsDOCHter vielleicht nötig gewesen wäre.

„Liebling, beruhige dich“, beschwichtigte die Königin. Im Draußendienst hatte sie täglich mit Kolerikern und Skeptikern zu tun und war abgehärtet. „Ich habe einen Vorschlag!“

Das brachte alle zum Verstummen und das PoNIE bliebt mitten im Salto stehen und kam unsanft mit dem Hinterteil auf dem blitzeblank geputzten Parkett auf.

„AUUUHIEHIEHIE!”

“Wusstet ihr, dass das Wort ‘Vorschlag’ von dem mittelhochdeutschen ‘vürslac’ kommt, was so wie viel bedeutet wie ‘erster Schlag’ oder ‘Befestigung’?”, tönte es dumpf vor der Tür der Kammer.

“Halt den Schnabel, BesserwissBÄR!”, gab die KönigsDOCHter rotzfrech zurück.

“Hey, ich habe keinen Schnabel”, empörte sich der BesserwissBÄR. “Ich habe eine Klappe und die ist ziemlich groß, willst du mal sehen?”

“Nein, danke!”, rief die KönigsDOCHter, denn ein bisschen war beim Etikettieren doch schon hängengeblieben, und das PoNIE unterstützte sie. “NIEHIEHIEHIE!”

Die Königin setzte wieder an. “Zurück zu meinem Vorschlag!” In ihrer Stimme lag nun eine sanfte Bestimmtheit, was den König, die KönigsDOCHter, das PoNIE und den BesserwissBÄR dazu bewegte, ihre Schnäbel – pardon, Münder, Mäuler und Klappen – zu halten.

“Da unser liebe DOCHTer angekündigt hat, so lange wach zu bleiben, wie sie will, und der König und ich uns wünschen, dass sie morgen zum Etikette-Unterricht bei Meister Knigge geht, lasst es uns doch mit einem Kompromiss versuchen. Ich habe morgen keine Termine und werde im Home Office arbeiten, also werden alle im Palast so lange wachbleiben, wie die KönigsDOCHter will. Und im Gegenzug verspricht die KönigsDOCHter, sich im Etikette-Unterricht anzustrengen und ihr Bestes zu geben.”

“Hmm, ich weiß ja nicht…”, überlegte die KönigsDOCHter. “Das Etikettieren finde ich DOCH eigentlich total doof.”

Die Königin setze nach. “Aber was machen denn das PoNIE und du, wenn ihr euch nicht einig seid?”

“Dann machen wir das, was ich will, ich bin DOCH die KönigsDOCHter!”

“Stimmt nicht”, brummte der BesserwissBÄR. “Dann schweigen sie sich erst schwerst beleidigt an und am Ende reiten sie ins Lilakritzlolliland, weil es da die besten Süßigkeiten UND salzigen Snacks gibt.”

“Und das, meine liebe DOCHTer, ist ein Kompromiss”, sagte der König.

Die KönigsDOCHter musste darüber noch eine Minute nachdenken, bevor sie einlenkte. “Okay, Mami, aber Papi macht uns sein bestes Popcorn – süß und salzig – und wir gehen alle raus zu meiner Hüpfburg und machen durch, bis ich sage, dass Schluss ist!”

Gesagt, getan. Die Königin trommelte alle Palastbewohner zusammen, der König bereitete zusammen mit den Köchen allerlei Leckereien zu, die KönigsDOCHter und das PoNIE schmückten die Hüpfburg mit Lichterketten und der BesserwissBÄR verzog sich mürrisch in seiner Kuschelhöhle, denn er war sich sicher, dass diese Aktion Königs eines Besseren belehren würde, was das Kompromisseschließen mit der KönigsDOCHter anging.

Die Königin sagte auch noch der HEULE Bescheid, deren Aufgabe es sein würde, die KönigsDOCHter am Morgen aus dem Bett zu jodeln. Dann versammelten sich alle bei der Hüpfburg und hüpften und aßen und lachten, bis die ersten Strahlen der Morgensonne den Horizont streiften. Die KönigsDOCHter war schon ganz schläfrig, als der König und die Königin sie in ihr Bett trugen, sie zudeckten und ihr einen Gute-Nacht-Kuss gaben.

Als die HEULE die KönigsDOCHter eine Stunde später aus dem Bett jodelte, war es ganz still im Palast. Sie war noch sehr müde, aber da sie vor allen anderen Charaktereigenschaften stur wie ein alter Ziegenbock war, stand sie auf. In der Küche schnappte sie sich eine Banane, denn alle Palastbewohner hatten von der Königin die Erlaubnis bekommen, nach dieser Nacht auszuschlafen und es war noch keiner wach, um ihr ein Frühstück zu machen.

Meister Knigge war erstaunt, wie ruhig sein Zögling heute war und frohlockte, dass seine Bemühungen endlich Früchte trugen. Eigentlich hatte er heute bei der Königin kündigen wollen, aber das war vielleicht gar nicht notwendig?

Später, auf einem Ausritt ins Lilakritzlolliland, sagte die KönigsDOCHter zum PoNIE: “PoNIE, ich werde NIE wieder durchmachen. Schlaf ist wichtig, das sagt der BesserwissBÄR auch immer.”

Das PoNIE lachte. “DOCH, wirst du ganz bestimmt. Aber nicht von Sonntag auf Montag, und schon gar nicht, wenn du am nächsten Morgen zum Etikettieren musst!”

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