Derzeit lebe und studiere ich in Kaunas, der zweitgrößten Stadt Litauens. An vielen Fassaden finden sich kunstvolle, lustige, komische und auch inspirierende Graffitis. In den folgenden Beiträgen möchte ich meine Eindrücke davon mit Dir teilen.
#4: Leah Goldberg
Dieses Graffiti ist ganz in der Nähe unseres Zuhauses an der Kęstučio gatvė zu finden. Es zeigt ein Portrait der israelischen Lyrikerin und Schriftstellerin Leah Goldberg und die hebräische und litauische Version ihres Gedichts „Kiefer“, wie ich inzwischen herausfinden konnte. Die Übersetzung der ersten Zeilen dank Google hat mich auf darauf gebracht, um welches Gedicht es sich handelt. Allerdings ist die Übersetzung vom Litauischen ins Englische häufig lückenhaft, sodass ich mich dazu entschieden habe, nach einer englischen Übersetzung zu suchen, nachdem ich keine frei verfügbare deutsche Übersetzung finden konnte. Gemeinsam mit der Google-Übersetzung aus dem Hebräischen habe ich versucht, das Gedicht möglichst sinngemäß ins Deutsche zu übertragen und dabei den klaren Stil der Originalfassung zu wahren, die in der englischen Übersetzung für meinen Geschmack etwas ausgeschmückt wurde. Mir ist natürlich völlig klar, dass ich mit meiner Übersetzung „um die Ecke“ nicht an eine direkte Übersetzung aus dem Hebräischen herankomme ;).
Doch wer war Leah Goldberg eigentlich? Leah Goldbergs jüdische Familie kam aus Kaunas. Sie wurde 1911 in Königsberg geboren und lebte bis zum Alter von drei Jahren in Kaunas. Während des Ersten Weltkriegs wurde sie mit ihrer Familie nach Russland deportiert, wo ihr Vater misshandelt und gefoltert wurde. Nach der Oktoberrevolution kehrte Leah Goldberg wieder nach Kaunas zurück und besuchte hier ein hebräisches Gymnasium. An der Universität Litauens studierte sie später semitische Sprachen, Geschichte und Pädagogik. Ab 1930 studierte sie in Berlin, ehe sie 1933 an der Universität Bonn promovierte. 1935 emigrierte sie nach Tel Aviv, wo sie unter anderem als Übersetzerin, Literaturwissenschaftlerin und Autorin tätig war. In Israel ist sie besonders für ihre Kinder- und Jugendbücher bekannt. 1970 starb Leah Goldberg mit nur 58 Jahren an einer Krebserkrankung.
In ihrem Gedicht „Kiefern“ bezieht sich Leah Goldberg vermutlich auf ihre Kindheit in Litauen und ihr Leben als Erwachsene in Israel. Das verbindende Element ist hierbei die Kiefer, die sowohl Nordeuropa als auch im Nahen Osten wächst. Sinngemäß sieht die Autorin ihre Wurzeln an beiden Orten.
Kiefer
Von Leah Goldberg
(in einer Übersetzung aus dem Englischen nach A. Z. Foreman und aus der Google-Übersetzung vom Hebräischen ins Englische)
Hier werde ich nie den Ruf des Kuckucks hören.
Hier werden die Bäume nie von Schnee bedeckt,
Aber im Schatten dieser Kiefern
Wird meine Kindheit wieder zum Leben erweckt.
Die Nadeln klingen: Vor langer Zeit –
Habe ich den Schnee mein „Zuhause“ genannt,
Das grüne Eis, das den Bach überspannt,
Meine Melodie in einem fremden Land.
Vielleicht verstehen nur die Zugvögel mich –
Zwischen Himmel und Erde schwebend –
Den Schmerz von zwei Heimatländern.
Ich wurde zwei Mal eingepflanzt in dich,
Wuchs auf mit euch, ihr Kiefern,
Und wurzelte in zwei ungleichen Ländern.
Weitere Informationen findest Du hier:
Informationen zum Leben und Wirken von Leah Goldberg: https://www.lzb.lt/en/2020/10/15/kaunas-commemorates-lea-goldberg/
http://www.relue-online.de/2013/03/in-einem-land-zwischen-schnee-und-disteln/
Die Übersetzung des Gedichts, die ich als Grundlage meiner Übersetzung genommen habe: http://poemsintranslation.blogspot.com/2010/03/leah-goldberg-pine-from-hebrew.html